Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


Projekt

Seit der Washingtoner Konferenz 1998 und der darauffolgenden „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 sind Fragen nach der Provenienz von Kunstwerken in Museen wieder stärker in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Aus dieser Verpflichtung heraus wurde 2009 unter der Leitung des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin ein Kooperationsprojekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des Landes Berlin initiiert, um die Provenienzen von ausgewählten Werken aus der ehemaligen Galerie des 20. Jahrhunderts (West) systematisch zu untersuchen. Expliziter Auftrag war die Prüfung auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke. Von 2010 bis 2013 bearbeiteten Dr. Hanna Strzoda und Dr. Christina Thomson den Forschungsbestand, der über 500 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Aquarelle und Druckgraphik aus den Jahren 1900 bis 1945 umfasst. Das Projekt zählt damit zu den umfangreichsten Provenienzforschungsprojekten, die für einen in der Nachkriegszeit zusammengetragenen Sammlungsbestand bislang an deutschen Museen durchgeführt wurden.

Gegenstand der Forschung waren jene (in West-Berlin erworbenen) Werke im Eigentum des Landes Berlin, die seit 1968 als Dauerleihgaben in den Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrt werden. Das Projekt, das sich einreiht in die seit Jahren betriebene systematische Prüfung der Bestände der Staatlichen Museen zu Berlin, legt detaillierte Provenienzangaben zum Forschungsbestand vor – messbare Ergebnisse also, die hier online präsentiert werden. Die Publikation der erforschten Provenienzen wird der gebotenen Transparenz gerecht und eröffnet Möglichkeiten für Dritte, Kontakt aufzunehmen, um neue Erkenntnisse beizutragen, die unter Umständen weitere Nachforschungen anstoßen können.

Bei der Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken orientiert sich die Provenienzforschung vor allem auf den Zeitraum 1933 bis 1945. Zuvorderst gilt es herauszufinden, wem das Objekt in den Jahren der NS-Herrschaft gehörte beziehungsweise wann und unter welchen Umständen ein Besitz- oder Eigentumswechsel stattfand. Stellt sich heraus, dass ein Kunstwerk in dieser Zeit abhandengekommen ist, müssen die Umstände des Verlusts so weit wie möglich geklärt werden. Die Fragen, die die Forschung hierbei stellen muss, sind komplex, schnell führen sie weit weg vom Werk und den üblichen kunsthistorischen Analysen und tief hinein in Biografien sowie politische und regionalhistorische Strukturen. Nicht immer lässt sich trotz aufwendiger und langwieriger Recherchen in Archiven und Bibliotheken schlussendlich die Frage beantworten, ob ein NS-verfolgungsbedingter Entzug vorliegt.

Im Hinblick auf die Gesamtheit des Forschungsbestandes schloss das Projekt mit dem positiven Ergebnis ab, dass nur sehr wenige NS-verfolgungsbedingt entzogene Werke in der Nachkriegszeit für die Galerie des 20. Jahrhunderts erworben wurden. Es wurde anschaulich, dass die Provenienzen von Gemälden, Skulpturen, Aquarellen und Zeichnungen aufgrund ihres Unikatcharakters leichter zu recherchieren sind als jene von druckgraphischen Werken. Von den rund 150 in die Recherchen eingebundenen und hier vorgestellten Druckgraphiken bleiben bei vielen die Provenienzen offen, da ihre Werkidentität nicht greifbar ist und es deshalb an Rechercheansätzen mangelt.

Im Laufe des Projekts wurde schnell klar, dass eine Gesamtbetrachtung nötig ist, um die Zusammenhänge der Galerie als größeres Ganzes zu begreifen. Denn es besteht eine multiple Verzahnung zwischen den Kunstwerken, ihren Provenienzen und der Entstehungsgeschichte der Galerie des 20. Jahrhunderts: Zum einen schafft die genaue Kenntnis der Historie der städtischen Galerie des 20. Jahrhunderts überhaupt erst die Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Provenienzforschung. Zum anderen brachte die Forschung derart viele Informationen ans Licht, die nicht nur weit über die Herkunft der Werke hinausgingen, sondern zudem bislang unbekannte historisch-politische, aber auch regionale und biografische Zusammenhänge aufdeckten, dass eine wissenschaftliche Publikation zur Geschichte der Galerie des 20. Jahrhunderts die logische Folge sein musste.

Provenienzforschung ist Teil der musealen Forschung, sie kontextualisiert die Kunstwerke und liefert, neben wesentlichen Herkunftsnachweisen, wertvolles Material zur Sammlungsgeschichte.

Aufkleber der Pariser Galerie Simon auf der Standfläche der Steinskulptur „Hockende Frau“ von Henri Laurens
© Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv
zur Provenienz
Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts und Zollstempel auf dem Keilrahmen von Marc Chagalls „Zirkustraum“
© Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv
zur Provenienz
Katalog der Galerie des 20. Jahrhunderts, 1953
© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek