Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Max Beckmann (1884–1950)
Tod, 1938

Öl auf Leinwand
121 x 176,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1952 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 10.500 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Der Tod

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Beckmann A 38

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 80
Inventar Land Berlin: 80
Weitere Nummern: 16/10

Werkverzeichnis-Nummer
Göpel WV 497; Reifenberg WV 404

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1939 im Besitz des Künstlers, Amsterdam L7
seit 1939 Stephan Lackner, Santa Barbara/Kalifornien L8 L5, 1940 bei Curt Valentin (Buchholz Gallery New York) ausgestellt L9
spätestens 1950 bis März 1952 Curt Valentin Gallery (ehemals Buchholz Gallery), New York, wohl in Kommission aus der Sammlung Lackner (Aufkleber) Q1 Q3 L10
1952 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Curt Valentin Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Max Beckmann malte das großformatige Ölgemälde „Tod“ 1938 als Pendant zu dem im Jahr zuvor fertiggestellten Bild „Geburt“. Beide Werke entstanden in Amsterdam, wo der Künstler im Exil lebte, seit er im Juli 1937 in Reaktion auf das massive Erstarken der nationalsozialistischen Kulturpolitik Deutschland verlassen hatte. Auf das Entstehen in Amsterdam verweist das Kürzel „A 38“ neben der Signatur. Die Bilder verblieben bis 1939 zunächst in Beckmanns Atelier. Der Kunsthändler Günther Franke, der Beckmann persönlich kannte und im Exil besuchte, berichtete rückblickend: „Beckmann emigrierte im Jahre 1937, genau einen Tag nach der Eröffnung der ersten Ausstellung im Haus der Kunst durch Hitler und der Gegenausstellung ‚Entartete Kunst‘ im Hofgarten. […] Er übersiedelte über Paris nach Amsterdam, wo eine Schwester seiner Frau lebte. […] Dort sah ich Beckmann im Jahr 1939 zum vorletzten Mal. Quappi Beckmann zeigte Bilder wie ‚Geburt‘ und ‚Tod‘. Letzteres entstand im Zusammenhang mit der Nachricht von Kirchners Freitod, die Beckmann erschüttert hat.“L7

1939 ging „Tod“ in den Besitz des Schriftstellers Stephan Lackner über. Lackner (1910–2000), geboren als Ernest Morgenroth, war promovierter Philosoph und Kunsthistoriker, als Autor publizierte er teilweise auch unter dem Namen Ernst Gast. Trotz des großen Altersunterschieds war Lackner ein langjähriger Freund und Förderer Beckmanns, den er als junger Student in Frankfurt am Main kennengelernt hatte. 1933, als eine Beckmann-Ausstellung im Museum Erfurt nicht eröffnen durfte, besichtigte er die für die Schau vorgesehenen Werke im Keller und kaufte aus diesem Konvolut sein erstes Beckmann-Bild („Mann und Frau“, 1932). Im selben Jahr emigrierte Lackner (samt Bild) nach Paris, pflegte aber weiter engen Kontakt mit dem Maler, der inzwischen in Berlin lebte. 1937 illustrierte Beckmann Lackners Drama „Der Mensch ist kein Haustier“. Dieser kaufte im selben Jahr rund zwölf Werke Beckmanns, teils ungesehen, die in zwei Transporten (Oktober 1937 und März 1938) von Berlin nach Paris gebracht wurden. Am 3. September 1938 verpflichtete er sich vertraglich zum Kauf von monatlich zwei Gemälden; diese Vereinbarung hielten beide Seiten bis 1940 ein (im September 1941 traf eine letzte, über die Schweiz verschickte Bildersendung bei Lackner ein). 1938 war Lackner Mitorganisator der Ausstellung „Twentieth Century German Art“ in London, die als Gegenausstellung zur Schau „Entartete Kunst“ entstand, und im April 1939 emigrierte er in die USA, samt seinen Beckmann-Werken. Lackner hatte zudem eine französische Freundin, die während des Krieges Bilder von Beckmann versteckte (S. 78).L12 Ein Brief Beckmanns vom November 1939 zeigt, dass Lackner sein volles Vertrauen besaß: „[…] bei Poyet befinden sich noch eine ganze Menge Bilder unter Aufsicht Katis. […] ebenso mit den Bildern, die noch bei Marcelle sind“, und noch 1945 erinnert er Lackner daran, dass „hier noch drei oder vier Bilder stehen, die Ihnen gehören“ (S. 88, 98).L12 Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Werke aus der Galerie des 20. Jahrhunderts.

Nachdem das Gemälde „Tod“ mit Lackner in die USA gelangt war, wurde es 1940 und 1946 auf Ausstellungen bei Curt Valentin in der Buchholz Gallery in New York gezeigt.L8 L9 Lackner und Valentin, der durch seine frühere Tätigkeit in der Galerie Buchholz in Berlin mit Beckmann vertraut war, standen in Bezug auf Beckmann-Werke in engem Kontakt; sie erwarben sogar einige Bilder gemeinsam.

Der Kunsthändler Curt Valentin war mit der Kunst Beckmanns gut vertraut. Er hatte eine Zeit lang in Berlin bei Alfred Flechtheim gearbeitet, der zu jener Zeit auch Beckmann vertrat. Bei Karl Buchholz, für den Valentin nach dem Weggang Flechtheims 1934 die Leitung der Kunstabteilung in der Buchhandlung Buchholz in der Leipziger Straße übernahm, war Beckmann ebenfalls vertreten. Valentins Beziehung zu dem Maler beruhte anfänglich vor allem auf dem engen Kontakt zwischen Buchholz und Beckmann. Als Buchholz 1937 unter Druck des NS-Regimes geriet, den „nicht-arischen“ Mitarbeiter Valentin zu entlassen, emigrierte Valentin in Absprache mit Buchholz nach New York und gründete dort die Filiale Buchholz Gallery, zu deren Programm wiederum Beckmann gehörte. Da die New Yorker Filiale großteils aus Berlin bestückt wurde, kam hier auch „entartete Kunst“ zum legalen Verkauf. Marianne d’Hooghe schrieb über den Abschied von Curt Valentin bei dessen Weggang in die USA am 6. Januar 1937: „[…] herzzerreißende Szene. Buchholz half ihm jedoch großzügig weiter, in dem er über holländische Kunden Großplastiken von Kolbe, Marcks, Barlach und anderen über Holland nach USA verfrachten ließ, die Valentin drüben verkaufte. Auch Kubin-Zeichnungen und Kollwitz-Zeichnungen, lauter ‚Entartete Kunst‘ brachte er außer Landes. […] Der Erfolg war frappant, es dauerte nicht lange, dass die Galerie Buchholz / Curt Valentin, New York, internationalen Ruf erlangte.“L13 Valentin führte die Galerie in New York trotz Finanznöten relativ unbeschadet durch die Kriegszeit. Auch in diesen Jahren erhielt er Kunstwerke von Buchholz, der inzwischen in Madrid tätig war, zum Verkauf (u. a. von Beckmann, Wilhelm Lehmbruck, Emil Nolde und Max Ernst). Tagebucheinträge Beckmanns belegen, dass Buchholz den Kontakt mit Beckmann die gesamte NS-Zeit hindurch anhand von Korrespondenz und Besuchen pflegte und ihn durch Ankäufe unterstützte. 1946 attestierte der Künstler: „Liebe Frau Marie Louise Buchholz, auf Wunsch Ihres Mannes Carl Buchholz z. Z. Madrid bestätige ich gern, dass er mich in der Nazi Zeit als alle meine Bilder verfehmt und ich selbst aus Deutschland verjagt war, mich persönlich in Amsterdam besucht und nicht nur einmal sondern öfter Bilder von mir erworben hat und sich auch weiter immer als Freund bewiesen und mir gegenüber seine Trauer und Verachtung des Regimes Hitler zum Ausdruck gebracht hat“.Q5

Max Beckmann zählte, neben Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner und Lyonel Feininger, zu Valentins Lieblingskünstlern der frühen Moderne. In der US-Karriere des Kunsthändlers spielte Beckmann eine ebenso zentrale Rolle wie Valentin bei der Etablierung des Malers in der amerikanischen Kunstszene: Valentin initiierte die ersten Verkäufe von Beckmann-Werken in den USA, kaufte selbst Bilder, organisierte Ausstellungen und brachte Beckmann dem Museum of Modern Art und anderen amerikanischen Museen nahe. In den ersten Jahren in New York, also von 1937 bis zum Kriegseintritt der Amerikaner im Dezember 1941, bezog Valentin die Werke meist direkt von Beckmann (The Museum of Modern Art, New York, Archiv MoMA-Manhattan / Korrespondenz CV / Beckmann, Curt Valentin Papers I. [9], Files 1938–1941, freundliche Auskunft von Anja Tiedemann, 4.2.2013). Dabei nahm er häufiger Werke in Kommission als dass er sie kaufte. Da Stephan Lackner über einen größeren Finanzrahmen verfügte, legten er und Valentin in einigen Fällen zusammen, um Beckmann-Werke (etwa „Departure“, heute The Museum of Modern Art, New York) gemeinsam anzukaufen. Die große Beckmann-Retrospektive in München 1951 bestückte Valentin mit Leihgaben aus eigenem und amerikanischem Privatbesitz. In jenem Jahr besaß er zahlreiche Beckmann-Werke, wie er im Frühsommer an Buchholz schrieb: „Ich habe natürlich viel Geld in Beckmann ‚investiert‘ und möchte im Augenblick nicht mehr tun. Ich besitze ja mindestens 25 Bilder, manche bedeutende. Die große Ausstellung in München wird am 2. (oder am 9.) Juni eröffnet.“Q4

Curt Valentin war es dann auch, der, umfirmiert von Buchholz Gallery zu Curt Valentin Gallery, Adolf Jannasch das Bild 1952 verkaufte. Ob Valentin das Werk übernommen hatte, es als Kommissionsware aus dem Besitz Lackners zum Verkauf anbot oder das Bild zu den genannten Gemeinschaftsankäufen von Lackner und Valentin gehörte, bleibt ungeklärt. Valentin hinterließ keine Geschäftsbücher, die Aufschluss geben könnten. In jedem Fall ist jedoch ein Zwischenbesitz durch Dritte ausgeschlossen. Dies unterstreicht der Zusatz, den Jannasch dem Katalogeintrag von 1968 beifügte: „erworben 1952, früher Slg. Dr. Stephan Lackner, Santa Barbara, Cal.“L5 Den Hinweis auf das in New York zum Verkauf stehende Gemälde hatte Jannasch sicher von Lackner persönlich erhalten. Ein erster Kontakt zwischen ihnen war um 1950/51 zustande gekommen, als Jannasch eine (aus dem Münchner Haus der Kunst übernommene) Beckmann-Ausstellung in Berlin organisierte. „Tod“ war eines der hier gezeigten Werke, als Leihgabe der Buchholz Gallery New York, sprich Curt Valentins.Q3 L10

Recherche: CT | Text: CT