Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Erich Heckel (1883–1970)
Landschaft bei Dresden, 1910

Öl auf Leinwand
66,5 x 78,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 1.200 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Landschaft in Dresden; Landschaft (bei Dresden)

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links: EH 10

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 30
Inventar Land Berlin: 30
Weitere Nummern: 6/20

Werkverzeichnis-Nummer
Vogt WV 1910/23

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
vor 1922 Galerie Fritz Gurlitt, Berlin L5 (Rückseite)
um 1922 „Knapp, Halle“,L6 vermutlich Hans Knapp L8
1948 Kunstausstellung Gerstenberger, Chemnitz Q12
wohl 1948 bis 1949 Privatbesitz Q3 Q15 Q16
1949 Galerie Franz, Berlin Q1 Q2 Q11 Q15 Q16
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Franz Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Auf dem Keilrahmen trägt Erich Heckels „Landschaft bei Dresden“ ein Etikett mit der Bezeichnung „Fritz Gurlitt / Hofkunsthandlung / Berlin W 35, Potsdamer Str. 113 / Nr. 1294“. Erich Heckel berichtete Adolf Jannasch 1953, das Gemälde in frühen Jahren verkauft zu haben: „Es stellt eine Landschaft bei Dresden dar, die bis jetzt nirgendwo veröffentlicht wurde, weil es schon sehr früh in Privatbesitz überging.“Q3 Vermutlich war es vor 1922, als der Künstler den Berliner Galeristen Fritz Gurlitt mit dem Verkauf seines Werkes betraute (freundliche Mitteilung von Hans Geißler, Nachlass Erich Heckel, 14.6.2011).L5

Als nachfolgenden Besitzer benennt das Werkverzeichnis „Knapp, Halle“.L6 Die halleschen Adressbücher verzeichnen 1911 in Verbindung mit einer Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei unter dem Namen „Knapp“ zwei Personen mit den Vornamen Hans und Wilhelm.Q13 1940 ist unter derselben Adresse am Mühlweg 19 noch Karl Knapp als drittes Mitglied der Verlegerfamilie zu finden. Der Knapp-Verlag war 1839 in Halle begründet worden. Schwerpunkte der Verlagsproduktion waren zunächst Baugewerbe und Theologie, 1881 orientierte sich das Unternehmen unter der Leitung von Wilhelm Georg Knapp (1840–1908) neu auf den Bereich der Fotografie. 1901 übernahm die Leitung der sich zunehmend als Fotoverlag etablierenden Firma das Brüderpaar Karl sen. (1867–1921) und Hans Knapp (1875–1962), dem 1921 in nächster Familiengeneration Karl jun. (1889–1977) und Wilhelm Knapp (1894–1958) nachfolgten.L7

Da Karl Knapp jun. seit 1933 NSDAP-Mitglied war und er zudem 1938 als „Ehrengabe“ einen Band über Adolf Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann herausgebracht hatte, wurde das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst konfisziert. Durch gute Auslandsbeziehungen konnten sich die Firmeninhaber jedoch bald dem Verdacht nationalsozialistischer Tendenzen entziehen.Q7 1947 erhielt der Verlag von der sowjetischen Militärverwaltung eine Lizenz zur Produktion von Büchern über Fotografie, Kinematografie und Reproduktionstechnik. Karl Knapp zog 1951 nach Düsseldorf, um in Westdeutschland einen Parallelverlag für Fotografie und Braunkohle zu eröffnen, während der Betrieb in Halle ab 1953 unter dem Namen VEB Wilhelm Knapp Verlag Halle, ab 1957 als VEB Fotokinoverlag Halle weiterlief. Die Verlagstätigkeit in Halle wurde mit Heft 3/1991 der Zeitschrift „Fotografie“ eingestellt (freundliche Mitteilung von Roland Kuhne, Stadtarchiv Halle, 28.6.2011).L7 Der Düsseldorfer Verlag ging 1972 im Droste Verlag auf (freundliche Mitteilung von Manfred Lotsch, Verlagsleiter a. D., 14.7.2011).

Als Kunstsammler trat in der Familie Knapp vor allem Hans Knapp hervor (freundliche Mitteilung von Hans Geißler, Nachlass Erich Heckel, 14.6.2011). Er ist von 1936 bis 1943 mit seiner Privatanschrift Hoher Weg 2 in den Mitgliederlisten des halleschen Kunstvereins als Kassenwart verzeichnet (freundliche Mitteilung von Roland Kuhne, Stadtarchiv Halle, 26.7.2011). Schon 1930 fand er unter derselben Adresse Eingang in Joachim Sterns Sammlerverzeichnis „Maecenas“, das ihn als Sammler von frühen Kupferstichen, Handzeichnungen und Aquarellen benennt.L8

Hans Knapp schrieb im Juli 1949 dem Fotohistoriker Erich Stenger: „Ich wohne noch in meinem Hause, das relativ wenig Kriegsschaden gehabt hat; aber das ganze Haus ist voll Menschen, auch Flüchtlingen, sodass ich äusserst im Wohnraum beschränkt bin. […] Ich habe meine alten Studienfächer wieder angenommen, beschäftige mich mit Kunst und Literatur […]. An alles, was man verloren hat, darf man schon garnicht denken.“Q17 Hans Knapp, der 1949 als Kriegsversehrter aus dem Verlagsgeschäft ausgestiegen war und sich in finanziellen Nöten befand (freundlicher Hinweis von Miriam Halwani, 18.7.2011), könnte derjenige gewesen sein, der die „Landschaft bei Dresden“ 1948 an Wilhelm Grosshennig, damals noch Geschäftsführer der Chemnitzer „Kunstausstellung Gerstenberger“, zum Verkauf übergab. In jenem Jahr nämlich bot Grosshennig das Gemälde Paul Ortwin Rave für die Nationalgalerie an: „Weiter ist noch zu haben: […] vielleicht auch Erich Heckel, ein sehr bedeutendes Frühwerk aus dem Jahre 1910, Mann auf einer Brücke in einer Landschaft mit 3 Häusern in goldgelbem Ton und Baumgruppe in dämonischer Kraft ähnlich Munch.“Q12 Rave jedoch entschied sich gegen den Kauf.

Ein knappes Jahr später fand sich das Gemälde in der Berliner Galerie Franz wieder.Q1 Q2 Q11 Q15 Q16 Höchstwahrscheinlich entdeckte es Jannasch in der Ausstellung „Querschnitt durch die Moderne Malerei“, die im Sommer 1949 dort ausgerichtet wurde. Der „Telegraf“ lobte in einer Ausstellungsbesprechung: „Fast ein kleines Kronprinzenpalais, das ja einst die Gegenwart barg und sie auf dem Scheiterhaufen der ‚Entartung‘ verlor – der unerfüllbare Wunsch wird wach nach einem sagenhaften Mäzen, der dies alles hier der Nationalgalerie übergebe. Vorausgesetzt, daß überhaupt die jetzigen Besitzer von ihren so sorgsam gehüteten Schätzen sich trennten.“Q15 „Der Abend“ rezensierte deutlich verhaltener, konkretisierte jedoch am Rande hinsichtlich der Leihgeber: „Aus dem Zufallsbesitz Berliner Privatsammler läßt sich keine systematische Übersicht über die bildende Kunst der Gegenwart zusammenbringen.“Q16

Wer zu diesem Zeitpunkt Eigentümer des Heckel-Bildes war, ist bislang nicht rekonstruierbar. Sollte es aus einer der Berliner Privatsammlungen stammen, die „Der Abend“ beiläufig erwähnt, ist von einem weiteren, bislang unbekannten Zwischenbesitzer auszugehen, der das Bild zuvor 1948 in Chemnitz erworben und nach Berlin gebracht hatte. Auch Jannasch schien sich nicht über den Vorbesitzer des Werkes im Klaren zu sein, als er es im Juli 1949 in den Bestand der Galerie des 20. Jahrhunderts aufnahm. Auf Siddi Heckels Bitte um Informationen zur Provenienz zweier Gemälde ihres Mannes, der „Landschaft bei Dresden“ und der „Beiden Schwestern“ (Inv.-Nr. 31), konnte Jannasch 1961 nur antworten: „Leider kann ich nichts Näheres über die Herkunft der beiden Gemälde sagen, denn beide wurden aus dem Kunsthandel 1949 erworben.“Q4

Recherche: HS | Text: HS