Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

George Grosz (1893–1959)
Gott mit uns, 1920

Mappe mit 9 Lithographien auf Büttenpapier; Einband aus Halbleinen
51,1 x 42 x 2 cm

Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

1957 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 400 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung an/in Mappe/Buch
Mappenvorsatzspiegel vorn, oben links, Bleistift, eingekreist: 638
Mappenvorsatzspiegel vorn, oben links, Bleistift: XIX
Mappenvorsatzspiegel vorn, unten rechts, Bleistift: Ma 5
rechter Mappenflügel, oben rechts, Bleistift: Coll. Cpl. fdR 22/7 ’62 Mo [Collection complett – für die Richtigkeit 22.7.1962 Möhle (?)]
Mappenrückseite unten rechts, Bleistift: 877

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: 554/52
Inventar Land Berlin: 208; 554/52 (Ma 5); 25/5-25/13

Werkverzeichnis-Nummer
Dückers WV M III,1-9

Foto: Büttner, Wolfram / © Estate of George Grosz, Princeton, N. J. / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
wohl 1920er-Jahre bis 1957 Edwin Redslob Q7
1957 Galerie Gerd Rosen, Berlin, 29. Auktion, 18.–22.11.1957 L1
1957 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Rosen Q1 Q3
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1920 gab der Malik-Verlag in Berlin die Mappe „Gott mit uns“ mit neun losen Fotolithographien von George Grosz heraus. Bei dem Exemplar der Galerie des 20. Jahrhunderts handelt es sich um die Nummer 74 der Ausgabe C (die Variante mit Halbleineneinband), die in einer Auflage von 125 Stück erschien. Adolf Jannasch erwarb die Grosz-Mappe auf der 29. Auktion der Berliner Galerie Rosen, die vom 18. bis 22. November 1957 stattfand. Auf derselben Auktion kaufte er 43 weitere druckgraphische Einzelblätter und Zeichnungen von bekannten, vorwiegend deutschen Künstlern der Moderne, auch der Nachkriegszeit (Inv.-Nr. 187 bis 243).

Folgende Einzelblätter von Grosz sind in der Mappe enthalten: I. Gott mit uns (Titelseite, 30,2 x 42,9 cm); II. Für deutsches Recht und deutsche Sitte (38 x 31,3 cm); III. Feierabend (38,7 x 29,9 cm); IV. Licht und Luft dem Proletariat (34,9 x 29,7 cm); V. Der Gesundbeter (31,6 x 29,6 cm); VI. Zuhälter des Todes (38,4 x 30,1 cm); VII. Die vollendete Demokratie (44,5 x 30,3 cm); VIII. Die Kommunisten fallen – und die Devisen steigen (30,5 x 45,2 cm); IX. Das macht uns keiner nach (28,4 x 24,7 cm).

Dass diese Grosz-Mappe aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Sammlung Edwin Redslobs stammt, legt eine in dessen Nachlass erhaltene Liste der Werke nahe, die er Rosen für die 29. Versteigerung zum Verkauf übergab.Q7 Insgesamt 38 Positionen (36 Einzelblätter und 2 Mappen) lieferte Redslob an die Galerie, darunter neben einer Grosz-Mappe Graphiken von deutschen Altmeistern und japanische Holzschnitte sowie Werke von Lyonel Feininger, Erich Heckel, Emil Nolde, Oskar Kokoschka, Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach, Max Beckmann, Käthe Kollwitz und anderen Künstlern der Moderne.

Edwin Redslob (Weimar 1884–1973 Berlin) war ein deutscher Kunsthistoriker, Kulturpolitiker, Publizist und Universitätsrektor. Von 1912 bis 1919 leitete er das Erfurter Museum, dann kurzzeitig bis 1920 die Staatsgalerie Stuttgart. 1920 wurde er zum Generaldirektor aller württembergischen Museen berufen und zum Reichskunstwart ernannt, der in der Weimarer Republik für alle staatlichen Kunst- und Kulturfragen des Deutschen Reichs zuständig war. Da er als bekennender Förderer der Moderne galt, wurde er ungeachtet seiner „arischen Abstammung“Q8 am 1. März 1933 in den Ruhestand versetzt. Während der Jahre der NS-Herrschaft widmete er sich kunstwissenschaftlichen Forschungen, Übersetzungen und schriftstellerischen Tätigkeiten, daneben betrieb er privaten Kunsthandel in kleinem Format. Das Kriegsende erlebten Redslob und seine Frau Charlotte in ihrem Haus in Neubabelsberg bei Potsdam. Wenige Wochen später beteiligte er sich als Leihgeber an einer der ersten Ausstellungen im Nachkriegs-Berlin, in welcher der Galerist Gerd Rosen Bilder der klassischen Moderne, auch solche der zuvor verbotenen Expressionisten, zeigte. Im Sommer 1945 trat Redslob als Mitgründer, Lizenzträger und Herausgeber der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ in Erscheinung. Ende Dezember 1945 wurde er zum Honorarprofessor am kunsthistorischen Institut der Berliner Universität berufen, 1948 gehörte er zu den Initiatoren der Gründung der Freien Universität Berlin, die er als Rektor und ab 1950 bis zu seiner Emeritierung 1954 als Prorektor leitete.

Ein „Verzeichnis der im Besitz von Dr. Edwin Redslob, Ufa Str. 102 a, befindlichen Gegenstände“ von 1943 belegt, dass er zu dieser Zeit rund 10.000 Bücher, vor allem zur Kunstgeschichte, sowie zahlreiche Mappenwerke und Graphiken besaß.Q10 Die Vielseitigkeit der Kunstsammlung Redslobs, dessen Sammlungsinteresse der Kunst unterschiedlicher Kulturkreise und Epochen gleichermaßen galt, erleichterte es ihm, die modernen Werke während der NS-Zeit geheim zu halten, wie es auch in seiner Biografie beschrieben wird: „Privatsammler hielten die Zeit über ihre Bestände unter Verschluss, nur unter Eingeweihten, im Verborgenen, waren sie noch Thema. Die modernen Stücke der Kunstsammlung erwähnte auch Redslob zwölf Jahre lang mit keinem geschriebenen Wort. Selbst in den Briefen, die er sich in den frühen vierziger Jahren mit Gerd Rosen schrieb, der seine Liebe zum Expressionismus und zu alten Büchern teilte, fehlt jeglicher Hinweis. Wie andere Sammler holte auch Redslob [nach 1945] nun wieder die ‚entarteten‘ Werke hervor, voller Stolz, dass sie über den Krieg gerettet werden konnten.“L3

Wann Redslob die Grosz-Mappe „Gott mit uns“ erwarb, geht aus seinem im Deutschen Kunstarchiv Nürnberg verwahrten Nachlass nicht hervor. Vollständig erhalten sind hier Rechnungen und Kontobücher der Jahre 1931 bis 1933,Q9 die verdeutlichen, dass Redslob mit Akribie über seine Einnahmen und Ausgaben Buch führte. Ein Hinweis auf den Erwerb der Grosz-Mappe findet sich in diesem Zeitraum jedoch nicht. Seine Kunstkäufe der Jahre 1933 bis 1945 sind nicht lückenlos, aber doch verhältnismäßig gut über Rechnungen dokumentiert. Auch hier ist der Zugang der Mappe zu seiner Sammlung nicht belegt. Wenngleich Redslob während der NS-Jahre stetig Kunst ankaufte, ist doch anzunehmen, dass er die Mappe bereits in den 1920er-Jahren vom Künstler erwarb, den er aller Wahrscheinlichkeit nach persönlich kannte. Im 1927 gegen Grosz angestrengten Prozess wegen Gotteslästerung wurde Redslob als Sachverständiger hinzugezogen: „Dem Schaffen des George Grosz habe ich wegen der künstlerischen Leistung und wegen der aus moralischem Gewissen bedingten Anklage einer verdorbenen Welt stets eine besondere Bedeutung beigemessen, zumal mir die Verbindung zu der dichterischen Anklage eines Bert Brecht die innere Notwendigkeit seines Schaffens zeigte. Aber es bedurfte größter Anstrengungen, die Maximilian Harden als zweiter Gutachter klug unterstützte, Grosz vor einem auf Gefängnisstrafe ausgehenden Urteil zu bewahren“.L4

Recherche: HS | Text: CT

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom [23?].11.1957, Inv.-Nr. 208

Q2 Übergabelisten Kästen Graphik an das Kupferstichkabinett, 1968, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-001 ff., S. 19–23, Inv.-Nr. 25/5–25/13, Ma 5

Q3 Aufstellung der auf der 29. Auktion der Galerie Gerd Rosen angekauften graphischen Blätter gemäs Rechnung vom 18.–22.11.1957, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 157

Q4 Karteikarte Mappen (West), Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Q5 Übersicht der Erwerbungen, Rechnungsjahr 1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-05-395

Q6 Übergabeliste Mappenwerke an das das Kupferstichkabinett, 1968, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-002

Q7 Liste der in der Auktion XXIX zu versteigernden Gegenstände, Einlieferung Sammlung Edwin Redslob, Geschäftsbuch-Nr. 590, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Redslob, Edwin, I,B-291

Q8 Korrespondenz zum Wiedergutmachungsantrag Redslob, 1952–1958, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Redslob, Edwin, I,A-8

Q9 Rechnungen und Kontobücher Edwin Redslob, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Redslob, Edwin, I,A-7

Q10 Verzeichnis der im Besitz von Dr. Edwin Redslob befindlichen Gegenstände, 10.5.1943, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Redslob, Edwin, I,A-7 [Positionen nicht einzeln aufgeführt]

L1 Aukt.-Kat. Galerie Gerd Rosen, Berlin 1957, Nr. 761

L2 Alexander Dückers, George Grosz. Das druckgraphische Werk, Frankfurt am Main 1979, Nr. M III, 1–9

L3 Christian Welzbacher, Edwin Redslob. Biografie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009, S. 316 f.

L4 Paul Raabe (Hrsg.), Edwin Redslob. Von Weimar nach Europa. Erlebtes und Durchdachtes, Jena 1998, S. 140