Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Max Pechstein (1881–1955)
Am Seeufer, 1910/11

Textilfarbe auf Nessel
257 x 204 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1961 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 12.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 525
Inventar Land Berlin: 525
Weitere Nummern: 39/525

Foto: Anders, Jörg P. / © Pechstein Hamburg/Trökendorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
wohl Ende der 1910er- oder im Laufe der 1920er-Jahre bis 1961 Eduard Plietzsch, Berlin, Köln Q5
1961 bis 1966 Mica Plietzsch, Köln, per Erbschaft
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Mica Plietzsch Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Max Pechstein zog 1909 als Vorhut der Künstlergemeinschaft Brücke von Dresden nach Berlin und richtete sich in der Durlacher Straße 14 ein Atelier ein, das er mit selbstgestalteten Wandbespannungen dekorierte:L4 „Ich hatte in diesem einen Raum die Wände mit Nessel bespannt und ringsherum von oben bis unten mit Stoffarben bemalt, so daß das Fehlen der Möbel kaum auffiel“, schrieb der Künstler später in seinen „Erinnerungen“.L5 Aus diesem Atelierkontext stammt auch der Wandbehang „Am Seeufer“.

„In frühester Jugend“ habe er das Textil von Pechstein übernommen, berichtete der Kunsthistoriker, Kunsthändler und Sammler Eduard Plietzsch (1886–1961) Adolf Jannasch, als er ihm kurz vor seinem Tod 1961 das Angebot unterbreitete, das Werk aus seinem Besitz für die Galerie des 20. Jahrhunderts zu erwerben.Q5 Plietzsch gehörte zu den engen Freunden und Förderern des Künstlers. Mindestens vier Pechstein-Gemälde nannte er in den 1920er-Jahren sein Eigen.L6 L7

Plietzsch führte bis 1929 die Berliner Filiale der Galerie van Diemen & Co. Als die Kunsthandlung sich 1929 mit der Galerie Dr. Benedict & Co. zusammenschloss, übernahm er gemeinsam mit Curt Benedict die Leitung des fusionierten Betriebs. Van Diemen gehörte zu dem 1912 gegründeten Margraf-Konzern, der 1935 als jüdischer Betrieb liquidiert wurde. Plietzsch wurde die Gesamtleitung über die Auflösung des Kunsthandelskonzerns übertragen. Parallel dazu gründete er seine eigene Kunsthandlung, in der er sich auf Gemälde alter Meister spezialisierte. Seit etwa 1940 war er in Zusammenarbeit mit Kajetan Mühlmann für die „Dienststelle Mühlmann“ im Reichskommissariat des deutsch besetzten Den Haag als Experte für niederländische Malerei tätig und befasste sich unter anderem mit der Zusammenstellung von beschlagnahmter Kunst für das „Führermuseum“ in Linz und die Sammlung Hermann Görings.L8

Pechsteins Wandbehang verblieb über alle Zeitläufe hinweg durchgängig im privaten Besitz von Plietzsch. Der von ihm initiierte Ankauf des Wandbehangs für die Galerie des 20. Jahrhunderts kam vor seinem Tod nicht mehr zustande. Erst 1966 erwarb Jannasch „Am Seeufer“ für 12.000 DM aus dem Nachlass des Kunsthistorikers von dessen Witwe Mica Plietzsch (1890–1978).Q1 Q3

Recherche: HS | Text: HS

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben Mai 1961

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 3.11.1961, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 56, und Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1893

Q4 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Angebot Eduard Plietzsch an Adolf Jannasch, 16.9.1961, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q6 Übersicht Haushaltsmittel 1961, 23.1.1962, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-04-187.1

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 185

L2 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 168

L3 Der junge Pechstein, hrsg. von Leopold Reidemeister, Ausst.-Kat. Hochschule für Bildende Künste Berlin (West), Berlin 1959, Nr. 75

L4 Hanna Strzoda, Die Ateliers Ernst Ludwig Kirchners. Eine Studie zur Rezeption „primitiver“ europäischer und außereuropäischer Kulturen, Petersberg 2006, S. 166 ff.

L5 Max Pechstein, Erinnerungen, Wiesbaden 1960, S. 48

L6 Aya Soika, Im Kreis von Freunden. Max Pechstein und die Förderer seiner Kunst, in: Hermann Gerlinger und Katja Schneider (Hrsg.), Gemeinsames Ziel und eigene Wege. Die „Brücke“ und ihr Nachwirken (Almanach der Brücke, 1), München 2010, S. 78–89

L7 Christian Vogel (Hrsg.), „Mein lieber Ede …“. Künstlerpost von Max Pechstein an Eduard Plietzsch, Hamburg 1996

L8 Laura Meier-Ewert, Eduard Plietzsch. Dem Zeitgeist stets zu Diensten, in: Gute Geschäfte. Kunsthandel in Berlin 1933–1945, Ausst.-Kat. Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e. V. im Centrum Judaicum Berlin und im Landesarchiv Berlin, Berlin 2011, S. 87–92