In der Galerie des 20. Jahrhunderts finden sich zwei Werke des im Schwäbischen geborenen Künstlers Richard Haizmann: eine Pferde-Zeichnung (Inv.-Nr. 873/45) und diese Skulptur einer liegenden Kuh, beide aus der Sammlung Heinrich Evert. Haizmann hatte als junger Mann im September 1917 im französischen Kriegsgefangenenlager Fort Barreaux den Kunstsammler und -händler Herbert von
Garvens-Garvensburg kennengelernt, in dessen Galerie in Hannover er während der kurzen Zeit ihres Bestehens nach dem Krieg tätig war. Mit kunsthändlerischen Kenntnissen ausgestattet, übersiedelte er 1922 nach Hamburg und eröffnete dort ein Graphisches Kabinett. Erst 1924 begann er, selbst künstlerisch zu arbeiten, protegiert von Max Sauerlandt, dem damaligen Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe. Dieser erwarb zahlreiche Arbeiten Haizmanns, sowohl für seine private Sammlung als auch für das Museum. Durch Publikationen und Vorträge brachte der Kunsthistoriker das Werk des Künstlers, der vor allem als Tierplastiker Bekanntheit erlangte, dem Kreis der Hamburger Kunstsammler näher. In der Zeit des Nationalsozialismus, in der Haizmanns Werk als „entartet“ galt, zog sich der Künstler in die innere Emigration zurück und lebte fortan bis zu seinem Tod im Jahre 1963 in Niebüll in Nordfriesland. Sein künstlerischer Nachlass wird heute im dortigen Richard-Haizmann-Museum verwahrt.
Von der Skulptur „Liegende Kuh“ existieren zehn Exemplare in Bronze und weitere in Messing. Einen ersten Bronzeguss vor dieser Auflage verkaufte Haizmann am 14. Dezember 1925 an den Hamburger Kaufmann Carl Gildemeister für 200 Mark. Dieser interessierte sich schon zeitig für Haizmanns Kunst und erwarb einige seiner Frühwerke für seine Sammlung. Max Bruhn, Verlagsleiter des Parus-Verlages, vermittelte dem Künstler schließlich den Kontakt zu einem Gießer, der weitere Bronzegüsse der Kuh anfertigte, die im Januar 1926 an Haizmann geliefert wurden.
Q4 Q5 1929 gründete Bruhn, selbst nebenbei als Bildhauer tätig, den „Freundeskreis Richard Haizmann“, dem sich einige illustre Persönlichkeiten der Hamburger Sammlerszene anschlossen, manche von ihnen erwarben auch Exemplare der „Liegenden Kuh“.
Der Bronzeguss aus der Galerie des 20. Jahrhunderts stammt jedoch aus der Sammlung von Heinrich Evert (Hannover 1879–1955 Berlin). Er sammelte in den 1920er- bis 1950er-Jahren Werke deutscher Künstler der Moderne. Ausgebildet an der hannoverschen Kunstgewerbeschule und der Baugewerkschule in Buxtehude sowie den Technischen Hochschulen in Berlin und Hannover hatte er seine Laufbahn im öffentlichen Dienst 1905 als Abteilungsleiter der Hochbauabteilung beim Stadtbauamt Jena begonnen. 1910 wurde er zum Stadtbaurat in Jauer (Jawor, heute Polen) berufen, wo er von 1927 bis 1934 auch das Amt des Bürgermeisters bekleidete. In seiner Zeit dort setzte Evert sich vor allem für kulturelle und soziale Belange ein und wirkte am modernen Siedlungsbau mit. Nach Januar 1933 geriet er „als Nichtparteigenosse und Freimaurer“, wie er sich selbst bezeichnete,
Q9 ins Visier der NSDAP; im Oktober 1934 legte er sein Amt in Jauer nieder und siedelte nach Berlin um. Hier war er von 1936 bis 1945 als kommunaler Berater der Wehrkreisverwaltung III tätig und wurde 1946 zum Bezirksrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf berufen. Ab 1951 wirkte Evert als Bezirksstadtrat. Bis zu seinem Tod 1955 wohnte er in der Rudolstädter Straße 100 in Wilmersdorf.
Seine Leidenschaft für aktuelle Kunst ließ Heinrich Evert den Kontakt zu Künstlern seiner Zeit suchen. Durch die Nähe der Stadt Jauer zu Breslau hatte er eine besondere Verbindung zur Breslauer Akademie: Zahlreiche dort tätige Kunstschaffende, darunter Oskar Moll und Georg Muche, Robert Bednorz, Otto Mueller und Alexander Camaro, waren – häufig mit mehreren Werken – in seiner Sammlung vertreten. Hinzu kamen Arbeiten von Kurt Schwitters, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Heldt und zahlreichen anderen, mit denen den Sammler vielfach eine oft langjährige Freundschaft verband. Die Werke für seine Sammlung erwarb Heinrich Evert zum größten Teil direkt bei den Künstlern.
Auch Adolf Jannasch kannte Evert persönlich, wie der Eintrag in Jannaschs Sammler-Notizbuch belegt: „Evert / ‚Bauen und Wohnen‘ / Schwitters, Heldt, Moderne, Müller, Muche, Camaro“.
Q6 Diese Bekanntschaft mag Everts Beschluss, der Galerie seine Sammlung anzuvertrauen, bekräftigt haben. So legte der kinderlose Baurat testamentarisch fest: „Ich setze als Erben meiner gesamten Kunstgegenstände (Gemälde, Graphiken, Plastiken, Sammelmappen, kunstgewerbliche Gegenstände und einschlägige Literatur) das Land Berlin ein. Für die Betreuung dieser Kunstwerke soll die Galerie des XX. Jahrhunderts zuständig sein.“
Q7 Diesem Wunsch folgend, hinterließ seine Witwe Gertrud Evert, geborene Fangauf, mit ihrem Tod 1966 dem Land Berlin 117 Gemälde, Zeichnungen und graphische Blätter.
Q3 Vereinzelte Werke scheint Heinrich Evert auch dem Stadtmuseum Berlin vermacht zu haben.
Recherche: HS/CT | Text: CT